Eine unglaublich intensive Lernreise

Karin Allgeier hat die Ometepedelegation vom 27. August bis zum 17. September 2010 in Deutschland begleitet und schildert uns ihre Erlebnisse und Eindrücke.

Von Karin Allgeier

Zu meiner Person

Seit 26 Jahren lebe ich in Nicaragua und seit etwa 10 Jahren auf der Insel Ometepe mit ihren etwa 35 000 vorwiegend indigenen Einwohnern. Als gelernte Erzieherin arbeite ich an den verschiedenen Grund- und Oberschulen der Insel, um Lehrer, Schüler und Eltern in der Umwelterziehung weiterzubilden. Seit 20 Jahren bin ich nicaraguanische Staatsbürgerin.

Vorbereitung der Gruppe

Von den Koordinatoren des Projektes wurde ich gebeten, als Dolmetscherin mitzureisen und die Gruppe neben dem Projektleiter, Alcides Flores, zu begleiten. So war es mir frühzeitig möglich, das Besuchsprogramm aus Deutschland für alle Teilnehmenden zu übersetzen und sie auf die Reise nach Europa vorzubereiten. Durch den Besuch der Projektinitiatoren im Juni dieses Jahres konnte die Vorbereitung dadurch intensiviert werden, dass wir die Teilnehmenden gemeinsam in ihren Dörfern und Familien besucht und so ihr Lebensumfeld und den Alltag kennen gelernt haben. So konnten wir einen Film herstellen und Fotos machen, mit denen sie sich in Deutschland bei unseren zahlreichen und offiziellen Besuchen vorstellen konnten. Diese Materialien waren ihnen auch eine pädagogische Hilfe, sich zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland zu präsentieren. Denn wir alle wollten ja unsere Inselsituation und unser kleines, zweitärmstes mittelamerikanisches Land Nicaragua präsentieren, ein Entwicklungsland, das vielen Menschen in Deutschland noch immer unbekannt ist.

Trotz meiner Kontakte nach Deutschland war diese sehr intensive Lernreise mit ihrem Programm ein Eintauchen in eine mir doch sehr unbekannte Welt, wie mir im Lauf der Reise immer bewusster wurde. Bei diesem umfangreichen Programm in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Touristik, Wasser, andere Kulturen, Integration, kirchliche Möglichkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit, möchte ich einige Schwerpunkte herausgreifen, die für mich besonders eindrücklich waren.

Ankommen in Deutschland

Bereits am Flughafen empfingen uns viele Menschen, die sich mit Ometepe und Nicaragua verbunden fühlten, mit Sonnenblumen und einem ersten gemeinsamen Essen mit allen Anwesenden. Bei den vielen herzlichen Umarmungen spürten wir die Freude über unser Kommen. Das war nach dieser langen Flugreise und trotz der für uns empfundenen Kälte ein seelisch erwärmender Sonnenschein.

Eingewöhnung in die völlig fremde Welt

Das Programm begann mit dem Kennenlernen in den zwei Familien, in denen wir untergebracht waren und der unmittelbaren Umgebung des oberbergischen Dorfes Börnhausen in Wiehl.

Wir waren beherbergt in zwei dicht nebeneinander liegenden Einfamilienhäusern. Zunächst musste ich die nicaraguanischen Teilnehmer auf Dinge hinweisen, die in Deutschland normal sind. Dazu gehört das fließende kalte und warme Wasser, das sofort aus der Dusche kommt. Das Toilettenpapier darf in die Toilette geworfen werden. Es gibt Matratzen und warme Bettdecken, die in Deutschland nötig sind. Es gibt Elektroherde, viele Kochtöpfe und keine offenen Feuerstellen. Es gibt Heizungen oder Kachelöfen in vielen Wohnungen. Erstaunt waren die Teilnehmer, dass es unterschiedliches Geschirr und verschiedene Gläser in den Haushalten gibt und dass es in beiden Häusern keine empleada (Hilfe) gab, wie es in Nicaragua in einigen Haushalten möglich ist. Die Familienmitglieder – auch viele Männer – beteiligen sich an der Hausarbeit – vom Telefon, Waschen, Kochen, Einkaufen, Organisieren, Säubern, Pflanzen. Auch über die vielen elektrischen Geräte in den Haushalten staunten sie. Und dass die Post und die Zeitung in die Häuser geliefert werden.

Besuche von Behinderteneinrichtungen in unserer näheren Umgebung

Hier gibt es in Waldruhe, dem Dorf im Dorfe, einen Lebensraum, in dem sich psychisch erkrankte Menschen stabilisieren und in kleinen Schritten im Lebensalltag der Wohngruppen und der therapeutischen Angebote Selbstbewusstsein aufbauen können. Darüber sollten wir bei unserem späteren Besuch noch mehr vom Leiter der Einrichtung, dem Diakon Hans-Joachim Baumann, erfahren. Von ihm erhielten wir alle die DVD „Wenn neues Vertrauen entsteht“, so dass wir unsere Eindrücke hier auf der Insel vertiefen und auch anderen Interessierten davon berichten können. In den nächsten Tagen besuchten wir noch weitere Behinderteneinrichtungen: zwei in der Nähe gelegene Schulen, in denen wir die Möglichkeit hatten, am Unterricht teilzuhaben und uns die physiotherapeutischen und ergotherapeutischen Angebote anzuschauen. Besonders beeindruckend für mich persönlich war die Behindertenwerkstatt Oberberg, in der behinderte Mitarbeiter Arbeitsmöglichkeiten haben und in Werkstätten am Arbeitsprozess mit beteiligt werden.

In Nicaragua sind behinderte Menschen entweder etwas vollkommen Befremdendes oder ein ganz normaler Teil des alltäglichen Lebens. Ein Behinderter wird hier irgendwie ins Überleben eingebaut, aber dass er ein produktives Mitglied der Gesellschaft ist, das gibt es eigentlich nur bei Kriegsbehinderten, oder in ganz wenigen Einrichtungen in der Hauptstadt Managua. Hier auf dem Land und erst recht auf der Insel Ometepe ist dieser Gedanke mehr oder weniger unbekannt und überraschend.

Zusätzlich zu der guten Einführung durch den Geschäftsführer der Behindertenwerkstätten (BWO), Dietmar Groß, mit einem Einführungsfilm und seiner persönlichen Begleitung durch die verschiedenen Abteilungen hätte ich mir persönlich noch mehr Zeit für tiefere Begegnungen mit den behinderten Mitarbeitern gewünscht.

Einfache Hilfsmittel zum Nachbau geeignet – eine Anregung für Nicaragua

Bei einem anderen Besuch in der kleinen Werkstatt der Physiotherapeutin, Nicole Babitsch in Gummersbach, erhielten wir einen weiteren Einblick in die Behindertenarbeit. Nicole Babitsch arbeitet zeitweise im „Haus früher Hilfen“, in dem Familien mit Kindern mit frühzeitigen – auch körperlichen – Verhaltensauffälligkeiten, beraten werden können. Sie stellt „Topper“ für Rollstühle her. Das sind weiche Spielelemente, mit denen Kindern stimuliert werden können. Außerdem entwickelt sie kleine holzgefertigte Stühle für behinderte Kinder, die einfach herzustellen sind. Nicole wird Anfang des Jahres 2011 in der einzigen Behinderteneinrichtung auf der Insel im Haus CET des Ometepe-Projektes für mehrere Wochen arbeiten und mit Müttern von Behinderten und den dortigen Schreinern Sitzstühle für schwerst mehrfach behinderte Kinder herstellen, damit die Frauen, die die Kinder oft weit tragen müssen, die Möglichkeit haben, sie mit Hilfe des Stuhles einmal hinzusetzen. Nicole hatte das behinderte kleine Kind einer türkischen Nachbarin eingeladen, so dass wir die praktische, unterstützende Ausstattung dieses Stuhles bestaunen konnten.

Einladung bei einer kleinwüchsigen Frau

Sehr beeindruckend und intensiv war die Einladung in die Wohnung der kleinwüchsigen, 1.05 m „großen“ 70jährigen Inge Kesterke, die sich im Ometepe-Projekt seit einiger Zeit mit engagiert und die uns bereits am Flughafen mit empfangen hatte. Monika Höhn hatte gerade ein Buch herausgegeben „Ein bisschen kleiner – Aus dem Leben kleinwüchsiger Menschen“, in dem Inge Kesterke neben vielen anderen Kleinwüchsigen über ihren Lebensalltag und ihre besondere Behinderung des Kleinwuchses berichtet. So hatten wir über sie im Vorfeld schon einiges erfahren.

Bei Inge, unserer körperlich Kleinen, aber menschlich sehr großen und liebenswerten Frau, war es durch die sehr persönliche Begegnung möglich, Ängste und Vorurteile abzubauen. Sie lud uns in ihre Wohnung zum Abendessen ein und erzählte von sich und wir von uns. Außerdem ermöglichte sie uns einen Einblick in ihre Wohnung, die weitgehend behindertengerecht und auf ihren Kleinwuchs zugeschnitten war.

Durch Kennlernen Fremdheit überwinden

So ermöglichte sie uns gleichzeitig, diese vielen fremden Eindrücke besser zu verarbeiten. So ähnlich ist es auch mit den Freiwilligen, die für ein paar Monate aus Deutschland kommen und mit mir in den Bereichen Umwelterziehung, Theater, Jugendarbeit, Naturmedizin und organischem Landbau auf Ometepe arbeiten. Am Anfang ist oft noch eine Distanz und Unsicherheit zu den Menschen da, aber dann, wenn sie die Menschen einzeln in ihren Familien, Schulen und der Arbeit langsam näher kennen lernen, beginnen sie, vieles aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sie sehen nicht mehr die Armut, sondern die Menschen und wie sie es schaffen, liebevoll, offen und mit viel Humor ihren schwierigen Alltag in der sich täglich verändernden Situation zu bewältigen.

Besuch im Johannes Hospiz

Der Besuch im Johannes-Hospiz in Wiehl hat uns alle sehr beeindruckt. Hier arbeitet auch Ursula Blonigen als Palliativ-Krankenschwester, in deren Haus Mercedes Hernandez, die Vorschullehrerin, und ich während des dreiwöchigen Aufenthaltes gewohnt haben. Wir wurden durch die Führung einer Hospiz-Schwester mit völlig anderen und fremden Realitäten konfrontiert. Wir sahen einen Snoozel-Raum, den wir schon in einer Behindertenschule besichtigen konnten. Es ist ein Zimmer mit Wasserbett zum Wohlfühlen und Entspannen mit Musik und Lichtreflexen. Solche körpernahen Reize helfen nicht nur den sterbenden Menschen, sondern auch Kindern mit Spastik oder Konzentrationsschwierigkeiten, die sich durch Müdigkeit und Unlust äußern, hier wieder zur Ruhe zu kommen und ihre Sinne wahrzunehmen. Uns ist bei diesem Besuch bewusst geworden, wie unterschiedlich andere Kulturen mit dem Thema „Tod und Sterben“ umgehen.

Zusammenarbeit mit zwei Berufskollegs in Gummersbach

Das gewerbliche Berufskolleg in Dieringhausen hat eine besondere Beziehung zu Ometepe. In der Vergangenheit gab es verschiedene Besuche von Lehrern und Schülern im Projekt. Außerdem gibt es eine Ometepe-AG an der Schule, die verschiedene Veranstaltungen organisiert. (Verkauf von Waffeln, Kunstausstellungen, Informationsstände am Tag der Offenen Tür, Benefiz-Sporttag und Sponsorenlauf, bei dem auch schon eine Lehrerin aus Ometepe mitgelaufen ist.)

Flaschenhaus aus Ometepe als Musterhaus und Vorbild

Das Außergewöhnliche an dieser Schule ist jedoch ein Musterhaus, so wie man es auf Ometepe vielfach sehen kann. Inzwischen wurden 157 kleine Häuser aus dem Spendenfonds und von verschiedenen Spenderinnen und Spendern auf Ometepe für die Ärmsten gebaut, deren Hütten durch den Hurrikan oder durch extreme Regenzeiten beschädigt worden sind, dass sie nicht mehr zu bewohnen waren.

Das Besondere an diesem Haus, dessen Schirmherrschaft Landrat Hagen Jobi vom Oberbergischen Kreis übernommen hat, ist, dass es nach dem Vorbild der „Flaschenhäuser“ auf Ometepe von der Bauabteilung und von Schülern dieses Berufskollegs nachgebaut worden ist. Hier wurden allerdings die Zementblöcke mit Milchtüten gefüllt, während auf Ometepe Plastikflaschen gesammelt werden, in ein Drahtnetz gewickelt und mit Zement aufgefüllt werden. Diese in der der Sonne getrockneten Steine dienen nicht nur dazu, den Plastikmüll auf der Insel zu reduzieren, sondern sie haben zudem eine gute Isolierungskapazität und sind inzwischen sogar erdbebenerprobt. Die „Flaschenhäuser“ sind 24 qm groß und kosten mit einem Vordach rund 3.500 USD. Die begünstigten Familien sind zur Mitarbeit und zur Beköstigung der Arbeiter verpflichtet.

Dieses Musterhaus im Berufskolleg ist ein gutes Beispiel für gegenseitige Lernprozesse und dient auch dazu, etwa 3500 Schülerinnen und Schüler und mehr als 130 Lehrkräfte auf die Entwicklungszusammenarbeit mit Nicaragua hinzuweisen.

Omtepe – Paradies mit Widerhaken

Ein Projektfilm in der großen Pause zeigte allen interessierten Schülerinnen und Schülern der Schule im Pädagogischen Zentrum die verschiedenen Bereiche in der Gesundheits- und Bildungsarbeit auf Ometepe. Auch der Bau der Flaschenhäuser, sowie die Behindertenarbeit und die Studienunterstützung wurden im Film gezeigt. Aus diesem Studien-Fonds hatten ja bereits drei Mitreisende aus der Gruppe eine Unterstützung erhalten, so dass sie inzwischen ihren Universitätsabschluss machen konnten. Mit einer monatlichen Rückzahlung in Raten ermöglichen sie so anderen Studierenden die Möglichkeit zur Weiterbildung.

Die Hauswirtschaftsabteilung der Schule hatte zu einem Essen eingeladen, bei dem Schülerinnen und Schüler zum ersten Mal in ihrer Hotelfachausbildung ihre Kochkünste zeigen konnten. Von den jeweiligen Fachlehrern und dem Schulleiter, Herrn Saupp, sind wir u.a. durch verschiedene Abteilungen (KFZ- und Metallwerkstatt) geführt worden.

Besuch im kaufmännischen Berufskolleg

Ein weiterer Besuch war der im Kaufmännischen Berufskolleg in Gummersbach, zu dem es ebenfalls gute Kontakte zu Ometepe gibt. Auch aus dieser Schule war bereits eine Lehrergruppe auf der Insel und es gab in den Vorjahren bereits Informationsveranstaltungen mit Filmen und Fotos.

Die Spanischlehrerin, Ingrid Wolf, hatte bereits einige Wochen vor der Ankunft der Nicaraguaner die Unterrichtsstunden mit ihren SpanischschülerInnen vorbereitet. So ließ sie die jüngeren Mitreisenden unserer Gruppe nach einer kurzen Vorstellung mit den Schülerinnen und Schülern der Spanischklasse allein.

Arbeit in Kleingruppen

Durch die Aufteilung in Kleingruppen entstand eine gute Kommunikation und wenn es sprachlich nicht klappte, dann verständigten sich die jungen Leute mit Zeichensprache und etwas Englisch. Einer der Jugendlichen fragte, ob wir nach unserem Studium in Nicaragua eine Chance auf einen sicheren Arbeitsplatz in diesem unserem Beruf bekämen.

Natürlich war die Antwort, dass dies nicht möglich ist und dass man nur mit sehr guten Noten und Beziehungen weiterkomme. Auf unsere Frage, wie das denn in Deutschland sei, erhielten wir die gleiche Antwort: Wenn jemand hier fertig ist mit lernen und studieren, sei es ungewiss einen Arbeitsplatz zu bekommen. Einig waren sich alle, dass trotz der hohen technischen Entwicklungen, die Ungewissheit hier, aber auch in Nicaragua junge Menschen unsicher mache.

Das Glasscherben-Kreuz

Zu Anfang berichtete ich bereits über den Besuch in der Behinderten-Einrichtung der Theodor-Fliedner-Stiftung Waldruhe. Wir besuchten die kleine zur Einrichtung gehörende Kapelle, wo sie am Fenster aus vielen bunten Glas-Scherben ein Kreuz hingeklebt hatten. Der Leiter erklärte uns die Bedeutung dieses Kreuzes, das ein Symbol auch für die vielen psychisch Kranken dieser Einrichtung sein sollte. Jeder Mensch habe einmal ein Trauma in seinem Leben erlebt. Er verglich es mit einer bunten Glasvase, die auf den Boden fällt und in viele Stücke zerbricht. Die Vase, so erklärte er, sei von diesem Zeitpunkt an nicht mehr die gleiche, egal wie gut man sie zusammenklebe. Das Kreuz sei ein Hinweis darauf, wie man über ein Trauma hinweg kommen könne. Es sei wichtig, aus dem, was zerbrochen sei, zu lernen und dann mit anderen Menschen gemeinsam liebevoll und kreativ etwas Neues daraus zu gestalten.

Scherben, die Neues entstehen lassen

Ich empfand dieses Beispiel als einen wichtigen Rat fürs Leben eines jeden Menschen. Auch bei mir selbst gab es auf dieser Reise innere Scherben und es kostet mich immer noch viel Energie, daraus etwas Neues, für mich hier Nützliches und Fruchtbares werden zu lassen. Ich hab auf dieser Reise gelernt, dass es lange nicht so wichtig ist, was man alles erreicht. Wichtig ist der Weg, auf dem man das Ziel erreicht, und was man auf diesem Weg erlebt. Wie man mit seinen Mitmenschen umgeht, das ist es, was letztlich die Qualität des Endproduktes wirklich ausmacht. Oft setzt man sich selber unter starken Druck, damit möglichst alles klappt.

Ein Beispiel aus Nicaragua:
Auf einer Theatertournee sind wir mit 10 Kindern und Jugendlichen, im Alter von 8 bis 25 Jahren, von Ometepe nach Solentiname gefahren. Solentiname ist eine Inselgruppe im Großen Nicaragua-See, auf der der bekannte Schriftsteller, Priester und ehemalige Kulturminister Ernesto Cardenal mit bäuerlichen Familien gearbeitet und über das Evangelium gesprochen hat. Daraus entstand das „Evangelium der Bauern von Solentiname“ , dessen Texte in vielen Kirchengemeinden bekannt sind. Die meisten Mitreisenden waren noch minderjährig und wurden von nur 2 Erwachsenen begleitet.

Lehrreiche Erlebnisse

Die Reise fand kurz vor der Abreise nach Deutschland statt. Wir fuhren eine ganze Nacht auf einem großen Schiff, ohne Schlafmöglichkeiten und mit einer offenen Reling.

Die Mutter der 8jährigen Anayeli sagte noch vor der Abreise, dass sie geträumt habe, die Kleine würde über Bord fallen und ertrinken, weil es ja in der Nacht niemand merken würde. Anayeli ist ein Nachbarmädchen und für mich wie eine Tochter. Ich stand unter einem großen Druck, hatte die Nächte davor auch nicht gut geschlafen und das machte mich noch ungeduldiger und grantiger. Unwillkürlich gibt man natürlich diesen Druck an den Rest der Gruppe weiter. Ungute Spannungen entstehen. Manchmal haben die richtige Angst, wenn ich sauer werde. Das strapaziert unsere Schauspielerei natürlich sehr und es hat sehr viele Entschuldigungen und Mühen gekostet, wieder eine lockere und gemütliche Vertrauensstimmung herzustellen.

Glücklicherweise verlief alles sehr positiv, nur ein Schuh fiel über Bord ins Wasser – was auch eine gute Lehre war.

Menschlicher Umgang in Lernmomenten

Auf dieser Reise sehr gut organisierten Reise habe ich inzwischen auf sehr effektive Weise gemerkt, dass das Wichtigste die Menschlichkeit ist, die man ganz dringend und am nötigsten in der Fremde unter sehr intensiven Lernmomenten braucht. Das hilft mir nicht nur in meiner Arbeit mit den Menschen hier, sondern auch mit den Freiwilligen aus Deutschland oder anderswo. Am Anfang war es uns ganz wichtig mit „Zuhause“ zu reden. Mit der Zeit wird es weniger. , aber man muss da Verständnis haben, da man aus einer Welt entrissen wird und viele Verantwortlichkeiten und Gedanken zurücklässt, die anfangs noch sehr präsent sind. Erst in einer gewissen Ruhe kann man sich Neuem widmen und mit Leib und Seele dabei sein.

Auf Reisen persönlich näher kommen

Diese Reise war für die zwischenmenschliche Beziehung zu Mercedes, die mit mir im gleichen Zimmer unserer Gastfamilie gelebt hat, war für mich sehr wichtig. Sie ist ein sehr liebenswerter Mensch und wir sind einander sehr nahe gekommen. Auch hier hat sich bestätigt, dass der Weg wichtiger ist als das, was man letztlich erreichen will. Auf unserem gemeinsamen Weg hab ich jeden Tag aufs Neue von ihrer unglaublichen inneren Stärke dazugelernt. Wir haben einander gegenseitig gestützt und diese Solidarität von Frauen untereinander, die ist etwas ganz Besonderes, was ich sehr wertschätze. Ich freue mich mittlerweile sehr, einige der Menschen, die ich während dieser Reise in Deutschland näher kennen gelernt habe, hier auf der Insel wieder zu sehen.

Gemeinsam arbeiten und feiern – miteinander leben, voneinander lernen

Wenige Tage vor unserer Abreise nach Nicaragua wurde das traditionelle Ometepe-Fest in den Räumlichkeiten und auf dem Gelände der Behinderten-Werkstätten Oberberg gefeiert, die wir ja inzwischen bereits kennen gelernt hatten. Viele verschiedene Organisationen, Weltläden, terre des hommes, der soziale Friedensdienst EIRENE mit einem Infostand, Schulklassen, die nicaraguanische Kalebassen, Bücher und Schmuckstücke verkauften, die die Gastfamilie im Juni mit nach Deutschland gebracht hatte und kirchliche Gruppen, eine Latino-Musikgruppe und eine Gruppe, die capoeira-Tänze vorführte, hatten sich eingefunden. Viele von ihnen sind schon seit Jahren vernetzt.

Die Vorführung der Capoeira-Tänze z.B. wurde von einer ehemaligen Praktikantin organisiert, die viele Monate auf Ometepe war und inzwischen als Spanischlehrerin in Heidelberg arbeitet und dem Projekt als Dolmetscherin zur Verfügung steht. Eine Fotoshow zeigte noch einmal unsere Stationen auf dieser ökumenischen Lernreise, die ja unter dem Motto stand: Miteinander leben, voneinander lernen.

Der Leiter des Projektes, Alcides Flores, bedankte sich bei allen Menschen, die die Gruppe so freundlich aufgenommen und unterstützt hatten und bei allen, die sein Land auf unterschiedliche Weise unterstützen.

Jeder einzelne von uns wurde der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Die Besucher hatten die Möglichkeit, an der jeweiligen Fotowand mit Hilfe eines Dolmetschers Fragen zu stellen. Auf vielen Fotowänden konnten die BesucherInnen gute Informationen über Ometepe erhalten. Unsere Gruppe hatte traditionelle nicaraguanische Tänze vorbereitet und in bunten Kostümen aus Nicaragua die BesucherInnen überrascht. Das war unser Beitrag und gleichzeitig unser Dank – neben dem Gesang von Manuel Gutierrez in der Bergneustädter evangelischen Kirche, mit dem er bereits die Nicaragua-Freunde überrascht hatte. Der Kreiskirchenmusikdirektor Hans Wülfing hatte in die Kirche eingeladen, in der er die Funktion einer Orgel erklärte, die es in Nicaragua nicht gibt, und hat diese zum wunderbaren Erklingen gebracht u.a. mit Stücken von Johann Sebastian Bach. Bei dem Ometepe-Fest in Wiehl-Faulmert, mit seinen Vorbereitungen und mit dem Abbau, an dem alle gemeinsam beteiligt waren, haben wir die Erfahrung gemacht, dass gemeinsames Arbeiten und Feiern Menschen aus unterschiedlichen Kulturen miteinander verbindet.

Einladung zum Fastenbrechen in der Engelskirchener Moschee Gegen Ausländerfeindlichkeit und für ein friedliches Miteinander

Auch mit diesem Thema haben wir uns ganz praktisch beschäftigt. Durch die sehr persönlichen Kontakte von Pfarrer i.R. Michael Höhn zu ehemaligen türkischen Schülerinnen und Schülern erhielten wir eine Einladung zum Fastenbrechen in die Moschee in der Nachbarstadt Engelskirchen. Michael Höhn hatte als Berufsschulpfarrer 26 Jahre im Berufskolleg mit ausländischen Jugendlichen gearbeitet und gerade ein Buch herausgegeben zum Thema „Zurück bleibt ein Traum – Zuhause in Deutschland – Biografische Erzählungen aus Migrantenleben“. Wir haben nicht nur von zwei gerade frisch ausgebildeten jungen Moscheeführerinnen – mit Kopftüchern – einen Einblick in die muslimische Religion erhalten, sondern wurden auch zum anschließenden Fastenbrechen eingeladen. Getrennt aßen Männer und Frauen in den Räumen der Moschee ein für uns sehr leckeres Abendmahl.

Ein Fazit

Hier auf Ometepe fühle ich mich wie ein Fisch im Wasser und meine Mitmenschen erleben mich hier auch viel originaler. In Deutschland fühlte ich mich oft wie ein Fisch ohne Wasser, der sich nur verzweifelt windet und nach Luft schnappt. Aber das sind meine persönlichen Probleme mit Deutschland. Es hat ja durchaus seine Gründe, warum ich seit 26 Jahren hier in Nicaragua lebe. Trotzdem kommen diese Probleme natürlich mit mir mit, das konnte ich nicht verhindern, aber inzwischen ist das heftigste überwunden und ich kann aus sicherer Entfernung den Lernprozess abschließen.

Es war beeindruckend wie genau alles auf dieser Reise geplant war. Für unsere Gastgeber war diese Reise und ihre Erfahrungen mit uns sicher genauso wichtig wie unsere Erfahrungen mit ihnen. Zum ersten Mal konnten junge Nicaraguaner ihr Land selbst vorstellen und wir haben durch die Gespräche und ihre Einschätzungen über diese völlig andere Welt von ihnen gelernt.

Ich glaube, dass die Eindrücke so nachhaltig sein werden, dass sich die Ergebnisse dieser Reise erst mit der Zeit abzeichnen werden. Für die Mitreisenden ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Alles Weitere – so glaube ich – wird sich erst mit der Zeit zeigen, denn so viele wichtige und intensive Eindrücke müssen erst noch tiefer verarbeitet werden und das braucht seine Zeit. Ich danke allen Menschen, die uns diese Reise ermöglicht haben. Die mit Geduld und Zuneigung für uns auch in schwierigen Momenten da waren. Das hat mir persönlich geholfen, Vieles besser zu verstehen und annehmen zu können. Und es hilft mir auch jetzt, die Reise innerlich zu verarbeiten. Ich fühlte mich nicht nur als Dolmetscherin, sondern war in vielen Bereichen, die für mich neu waren, genauso interessiert wie meine Mitreisenden.

21.10.2010

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