Letzter Rundbief von Marieke Neuburg aus Nicaragua

Hallo Ihr Lieben,

hier ist er also. Mein letzter Rundbrief aus Nicaragua. Ich sitze im Hotel gegenueber des Flughafens in Managua, während ich Euch diese Mail schreibe und habe heute schon eine mehrstündige Reise von der Insel bis hierher hinter mir. Ich werde mich gleich noch mit zwei sehr guten Freunden treffen und mit ihnen den Rest des Tages verbringen und ich freue mich, am letzten Tag nicht allein zu sein.

Nun ist es also vorbei, mein Jahr im Proyecto Ometepe-Alemania. Gestern hat man mich mit einem Mittagessen verabschiedet und alle Mitarbeiter haben sich von mir verabschiedet. Ich denke, ich muss nicht beschreiben, wie sich der Kloss anfuehlte, der mir in der Kehle steckte.

Es ist vielleicht zu früh, um alles Revüe passieren zu lassen, was in diesem Jahr, in diesen dreizehn langen, schoenen, aufregenden, traurigen, erschreckenden und ganz sicher ueberwaeltigenden Monaten alles geschehen ist, doch ich frage mich, ob ich irgendwann wirklich ganz werde begreifen können werde, was in diesem Jahr mit mir passiert ist, ob ich jemals überblicken werde, was mir hier alles geschenkt wurde. Vielleicht werde ich noch in vielen Jahren Dinge erkennen, gebrauchen und wertschätzen, die mir hier widerfahren sind. Nein, nicht vielleicht. Ganz bestimmt sogar. Dieses Eintauchen in eine andere Welt, eine andere Kultur, andere Bräuche und Traditionen, andere Musik und eine andere Sprache, umgeben von neuen Menschen, neuer Arbeit und einem neuen Leben, dieses Eintauchen hat mich tief bewegt. Vieles ist mir vertraut geworden, doch eine gewisse Fremdheit ist geblieben. Vielleicht ist ein Jahr nicht genug, um ein anderes Land und einen anderen Kulturkreis Heimat zu nennen, vielleicht darf man, wenn man diesen Anspruch hat, auch niemals an eine Rückkehr denken, mein Zuhause aber ist Nicaragua, ist Ometepe ein Jahr lang gewesen.

Dieses Gefühl, der vertrauten Fremdartigkeit überflutete mich heute Morgen, als ich mit der ersten „lancha“, dem ersten kleinen Boot, die Insel verliess und den Sonnenaufgang bestaunen konnte. Als sich ein goldenesn Licht rasch hinter dem mächtigen Schatten des Concepcion ausbreitete und die Sonne nur kurze Zeit später als leuchtend goldgelber Feuerball zwischen den Vulkanen stand, da wusste ich, dass ich dieses Bild immer bestaunen kann, egal, wie alt ich werden mag, egal, wie oft ich zurückkomme. Dieser Ort ist magisch. Bei jedem Wetter, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und immer liegt ein anderer Zauber darueber, ein Zauber, der in Wolken und Licht greift, mit ihnen spielt und der sie schleudert wie Süßigkeiten von einem Karnevalswagen. Dieses Land blüht in verschwenderischer Pracht von Farbe und Form, ist so reich, kann so viel geben – und doch gibt es in Nicaragua große Armut. Widersprüche, die mich noch immer sprachlos machen.

Über meinem Abschied liegt etwas Zerrissenes und nicht Fassbares. Ich freue mich. Und wie ich mich freue! Auf all die Menschen, die ich wiedertreffen werde, auf die Universität, darauf, wieder Auto zu fahren, auf das deutsche Brot… Und ich bin traurig, weil ich so viel zurücklasse. Meine Arbeit, meine Freunde, meinen Alltag,… Was tut man, wenn man so zerrissen ist? Vielleicht hört man kurz auf zu fühlen und beschreibt die Situation einfach als „komisch“. Und hinter dieser Aussage stehe ich felsenfest.

Jetzt wünsche ich Euch viel Spass beim Lesen meines letzten Rundbriefes!

Bis bald,
Marieke

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